Fassbinder-
Kontroverse
Zur Premiere von Rainer Werner Fassbinders »Die Stadt, der Müll und der Tod« am 31.10.1985 drängten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde auf die Bühne des Schauspiel Frankfurts, um die Aufführung zu verhindern. Auf ihrem mitgebrachten Transparent war zu lesen: »Subventionierter Antisemitismus«.
Bereits zehn Jahre zuvor, 1975/76, hatte sich an der Veröffentlichung des Textes ein Streit um linken Antisemitismus entzündet. Das Stück thematisierte im Klima des Frankfurter Häuserkampfes kritisch die veränderten Lebensbedingungen in der Stadt. Dabei führte es mit der Figur des ›reichen Juden‹ eine namenlose Karikatur auf, die mit typisch antisemitischen Zuschreibungen wie Gier und Geilheit versehen wurde. Der Historiker und FAZ-Herausgeber Joachim Fest – der später wiederum durch eine distanzlose Biographie des NS-Täters Albert Speers auffallen sollte – meinte, in dem Stück einen Fall von »Linksfaschismus« erkennen zu können:
»In welcher Gestalt der Faschismus von links sich bei uns bislang auch immer offenbart hat, er war von antisemitischen Regungen weitgehend frei. Erst die Politik der Sowjetunion gegen den Staat Israel, die ungerührt antisemitische Affekte mobilisierte, hat auf der linken Szene der Bundesrepublik das Bewusstsein verbreitet, der Antisemitismus sei ein Element der Weltrevolution und habe mit dem Judenhass des Deutschen Reiches nichts zu schaffen. Das macht dem linken Antisemitismus das gute Gewissen.«
Die erste Fassbinder-Kontroverse wurde vor allem publizistisch ausgetragen und betraf die Kulturpolitik sowie Grenzen künstlerischer Freiheit und politischer Verantwortung. Die Auseinandersetzung in Zeiten eines vermehrten Linksterrorismus war von Versuchen der konservativen Seite geprägt, die politische Linke insgesamt als antisemitisch und faschistisch zu diskreditieren.
Bei der zweiten Fassbinder-Kontroverse 1984/85 kam es zu direkteren Auseinandersetzungen, insbesondere im Zuge der Bühnenbesetzung. An der Aktion waren zahlreiche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde beteiligt, darunter auch Shoah-Überlebende wie Ignatz Bubis oder Trude Simonsohn, und Kinder von Überlebenden wie Elli Kaminer-Zamberk. Bedeutsam ist dieser Konflikt gerade deshalb, weil hier eine jüdische Selbstermächtigung stattfand: Gegen die überwiegende Stimmung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wurde selbstbewusst darauf insistiert, im Falle von Antisemitismus keine Ambiguität, keine Uneindeutigkeit zuzulassen. Viele Linke der Frankfurter Hausbesetzer*innen-Szene protestierten damals für die Aufführung – unter ihnen etwa spätere Prominente wie Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit.